Die Online-Befragung in ihrer klassischen Form ist eine häufig eingesetzte Datenerhebungsmethode. Allerdings sind viele Aspekte der Fragebogenkonstruktion, insbesondere die Nutzung von graphischen, interaktiven und multimedialen Elementen in Online-Fragebögen ungeklärt. An der Professur für empirische Sozialforschung werden dazu labor- und feld-experimentelle Studien durchgeführt.
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sind auf Informationen über die Einstellungen und Verhaltensweisen, über die Präferenzen und Werteorientierungen der Bevölkerung angewiesen. Spätestens seit den 1950er Jahren werden solche Daten in der Regel mit Hilfe standardisierter Befragungen erhoben. Während anfangs neben schriftlich-postalischen Befragungen vor allem Interviewer-administrierte Befragungen (Face-to-Face oder per Telefon) dominierten, zeigt sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts in Folge neuer Kommunikationsgewohnheiten der Bürger:innen und der gestiegenen Kosten klassischer Umfragemethoden eine Verschiebung hin zu Online-Befragungen.
Allerdings sind mit dem Trend hin zu Online-Befragungen eine Reihe von Qualitätseinbußen verbunden. So ist der Zugang zum Internet zwar in großen Teilen der Bevölkerung gegeben, aber z.B. Ältere oder Bewohner:innen von Alten- und Pflegeheimen sind beim Internetzugang immer noch unterrepräsentiert. Außerdem ist die Bereitschaft an Online-Befragungen teilzunehmen teilweise niedrig, so dass die Ausschöpfungsquoten häufig gering und die Gefahr für eine Verzerrung entsprechend hoch sind. Hinzu kommt eine ganze Reihe von ungelösten Problemen in Zusammenhang mit der Qualität der Messung im engeren Sinne: Tendenzen zu Nondifferenzierung, sehr schnellem Antworten und andere unter dem Begriff „Satisficing“ zusammengefasste Formen des Antwortverhaltens.
In den vergangenen Jahren hat die Online-Befragung eine Reihe von Innovationen zur Erhöhung der Teilnahmebereitschaft und zur Verringerung von Messfehlern erfahren (zum Beispiel Messengerdesigns in Online-Befragungen, die Nutzung des Mikrofons um Antworten zu offenen Fragen nicht über die Tastatur, sondern als Audioaufnahme erfassen zu können und erste Studien, die Avatare oder Embodied Conversational Agents in Online-Befragungen einsetzen). Diese Studien zeigen, dass die Unterstützung durch den visuellen Kanal (Avatare, ECAs, Video) weniger wichtig für die Qualität der gewonnenen Daten zu sein scheint als eine naturalistische sprachliche Kommunikation.
Dieser Befund stellt den Ausgangspunkt für die in diesem Projekt geplante Exploration einer standardisierten, aber gleichwohl natürlich-sprachlichen Vermittlung der Fragetexte und der Antworten mit Hilfe eines digitalen Sprachassistenten dar. Aus pragmatischen Gründen beschränken wir uns dabei zunächst auf den Sprachassistenten Alexa (Amazon). Der Computer stellt über einen Lautsprecher die Fragen und die Antworten der Befragten werden über ein Mikrofon erfasst und unmittelbar kodiert. Damit bleibt die Befragung selbst-administriert und kommt ohne humane Interviewer:innen aus; dennoch wird die Kommunikation mit den Befragten in ein Gespräch verwandelt. Mit der Dialogfähigkeit der digitalen Sprachassistenten ist die Hoffnung verbunden, dass die natürlichere Gesprächssituation von den Befragten im Vergleich zu textbasierten Online-Befragungen angenehmer empfunden wird und damit die Belastung durch die Befragung verringert wird. Entsprechend sollten bekannte, durch Satisficing verursachte Messfehler abgemildert werden können.
Zusätzlich werden die Befragten nicht per E-Mail zu der Befragung eingeladen, sondern der digitale Sprachassistent startet eigeninitiativ die Befragung. Der Befragung wird ein höherer Aufforderungscharakter verliehen, der die Kooperationsbereitschaft potenzieller Befragter erhöhen kann. Entsprechend könnten auch durch Nonresponse verursachte Verzerrungen der Ergebnisse minimiert werden. Allerdings sind die Reaktionen von Befragten auf die eigeninitiierte Anbahnung einer Befragung durch einen digitalen Sprachassistenten kaum vorhersehbar.
Seit 2007 werden verschiedene Sekundäranalysen zur Datenqualität von alten und hochbetagten Menschen in standardisierten Umfragen durchgeführt. Auf Basis verfügbarer Datensätze (Allbus, ESS und SOEP sowie SHARE) werden Datenqualitätsindikatoren (item nonresponse und extremity bias, sowie degree of differentiation) gebildet und mit Maßen für die kognitive Fähigkeiten der alten Menschen in Beziehung gesetzt. Grundannahme der Sekundäranalysen ist, dass die rückläufigen kognitiven Fähigkeiten alter und hochbetagter Menschen für die geringere Datenqualität bei Befragungen verantwortlich gemacht werden können.
Abgelaufene Projekte
In den nächsten Jahren wird an der Professur für empirische Sozialforschung ein Methodenlabor aufgebaut, in dessen Rahmen sowohl ein CATI-Labor (Call-Center für die Durchführung von telefonischen Befragungen) als auch ein Online-Panel eingerichtet werden sollen. Das CATI-Labor und das Online-Panel sollen sowohl für inhaltliche Studien genutzt werden, als auch in Kooperation mit TU-internen und externen Partnern der Methodenforschung dienen. Hinzu kommt eine Ausstattung für experimentelle Studien zur Datenqualität in Umfragen.
Seit 1994 wird im Freistaat Bayern alle fünf Jahre eine Querschnittserhebung unter etwa 4.000 Schülern an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen zum Thema „Gewalt an Schulen“ durchgeführt. Auf Basis von Selbstauskünften zur Opferschaft und Täterschaft werden Aussagen zu Häufigkeit von Schulgewalt und zu ihrer Erklärung abgeleitet. In den letzten Jahren zusehends intensiver wurden mehrebenanalytische Untersuchungen zu den Kontexteffekten und Kompositionseffekten durchgeführt. Die nächste Erhebungswelle ist im Frühjahr 2010 geplant.
Auf Basis eines von der DFG geförderten Projektes wurden etwa 230 neun- bis vierzehnjährige Kinder bei der Durchführung standardisierter mündlicher persönlicher Befragungen gefilmt. Auf Basis dieser Videoaufnahmen und einer nachfolgenden detaillierten Verhaltenskodierung wurden Hinweise auf die möglicherweise eingeschränkte Datenqualität von Antworten von jüngeren Kindern gesucht.
Im Rahmen eines von der EU im siebten Rahmenprogramm geförderten Projektes zusammen mit Kollegen aus Slowenien, Österreich, Litauen, Großbritannien, Lettland und Griechenland wird eine Untersuchung über die jeweiligen Berufsbildungssysteme durchgeführt. Neben Country Reports besteht eine Kernaufgabe in der Durchführung einer Befragung unter Sekundarschülern zu ihrer Wahrnehmung der Vorzüge und Nachteile der verschiedenen Wege durch die Berufsbildungssysteme.
Nähere Informationen und erste Ergebnisse finden Sie hier.
Das seit 2008 von der DFG im Rahmen des Schwerpunktprogrammes „Survey Methodologie“ geförderte Projekt befasst sich mit dem Aufbau eines Mobilfunkpanels von etwa 1.200 Teilnehmern. Mithilfe dieses Mobilfunkpanels sollen die Veränderungen in den Nutzungsgewohnheiten von mobiler Telefonkommunikationstechnik untersucht werden. Ein weiterer Schwerpunkt bildet die Identifikation der ausschließlich über Mobilfunkbereich erreichbaren Haushalte (mobile onlys). Insgesamt sind über einen Zeitraum von vier Jahren sieben Befragungswellen geplant.